Erhält eine dir nahestehende Person die Diagnose Brustkrebs, ist der Schock riesig.
Du fragst dich: Was sollst du sagen? Wie reagierst du angemessen? Kannst du irgendwas tun?
Patientinnen sowie deren Angehörige, zu denen du womöglich auch zählst, fühlen sich zunächst maßlos überfordert mit der Situation.
Diese kommt so plötzlich, trifft alle Beteiligten völlig unvorbereitet und reißt sie aus ihrem gewohnten Alltag heraus.
Glaub mir, das ist normal.
Eine Krebsdiagnose bedeutet immer einen gravierenden Einschnitt in das Leben der Betroffenen, deren Angehörigen und des involvierten Umfelds.
Alltag und Routine spielen für die nächsten Monate oder Jahre keine Rolle mehr. Gesprächsthemen drehen sich nur noch, um den aktuellen Kampf und darum, die tückische Krankheit zu besiegen.
Der Fokus ist ganz klar auf das Überstehen der Therapie und die hoffentlich baldige Genesung gerichtet.
Das Einzige, was du als angehörige Person wirklich tun kannst
Viele Angehörige, mit denen ich gesprochen haben, berichteten immer wieder darüber, dass sie sich hilflos fühlen, wenn sie neben ihren Liebsten stehen, die gerade die schwerste Zeit ihres Lebens durchmachen.
Machtlosigkeit, Sprachlosigkeit und die endlose Frage nach: Was kann ich eigentlich tun, außer daneben stehen und zuschauen?
Das ist ganz ungeschönt die Realität der meisten Angehörigen. Zusehen und aushalten, dass du nichts weiter tun kannst, als zu kochen, im Haushalt zu helfen, einzukaufen, den Taxi-Driver zu spielen oder manchmal auch einfach nur schweigend daneben zu sitzen.
Was jedoch immer hilft, ist zuhören.
Lade Betroffene aktiv ein über ihre überwältigenden, ungefilterten Gefühle zu sprechen.
Patienten und Patientinnen empfinden sich oftmals als Last. Daher ist eine aktive Einladung von dir als angehörige Person sehr heilsam für die Erkrankten.
Eine aktive Einladung deinerseits ebnet einen Raum offen sprechen zu dürfen, nicht bewertet zu werden oder sich zurücknehmen zu müssen und das ist während der Krebstherapie für die Psyche der Patientinnen Gold wert.
Dabei ist es nicht deine Aufgabe als Angehörige irgendwelches Feedback, Ratschläge oder Lösungswege aufzuzeigen.
Nein, deine Aufgabe ist einfach nur zuhören.
Mehr nicht.
Selbst wenn es schwerfällt. Du brauchst nicht sofort handeln, du brauchst nicht gleich etwas tun, damit sich dein Gegenüber besser fühlt.
Deine einzige Aufgabe ist es dein eigenes „nichts tun können“ auszuhalten und zuzuhören.
Warum Angehörige schweigen
Nur zuhören, nichts tun, das klingt recht einfach.
Leider ist es das aber gar nicht.
Denn dem im Weg stehen meistens kommunikative Hürden, Ängste etwas falsch zu machen oder schlichtweg, die eigenen nicht verarbeiteten Emotionen.
Wir Menschen versuchen unsere eigene Sterblichkeit in der Regel zu verdrängen. Das ist ganz normal und natürlich.
Bis zum Zeitpunkt einer solchen Diagnose, wie Brustkrebs versuchen wir schlimme Krankheiten oder schreckliche Wahrscheinlichkeiten keine Beachtung zu geben.
Im Grund genommen ist das reiner Selbstschutz, da wir uns sonst womöglich nur noch mit unserem eigenen, möglichen Ableben befassen und darüber hinaus das Leben selbst verpassen würden.
Doch nun ist die Situation da. Es passiert und die Krankheit Krebs wird schlagartig präsent in deinem Leben.
Jetzt kannst du weder als betroffene als angehörige Person die Augen davor verschließen, dass der Tod ein ständiger Begleiter deines Lebens ist.
Da sich die meisten Menschen noch nie mit dem Tod und der eigenen Sterblichkeit befasst haben bzw. diese Tatsache gekonnt ignorieren oder verdrängen, macht eine Diagnose, wie Brustkrebs ein riesiges, innerliches Loch von unverarbeiteten Emotionen auf.
Genau da entsteht das Gefühl der Hilflosigkeit und Machtlosigkeit, was niemand gerne fühlen möchte.
Du verlierst die Kontrolle, weil du vermutlich auf keine echten Erfahrungswerte in Bezug auf eine solche Krankheit zurückgreifen kannst. Oder du kompensierst oder flüchtest, um diese Ohnmacht nicht spüren zu müssen.
Das soll gar nicht wertend gemeint sein, denn das sind völlig normale und alltägliche Reaktionen.
Im Weiteren möchte ich dir jedoch erklären, wieso dieses „natürliche Verhalten“ zu tiefen Problemen im Umgang mit Patient:innen führen kann und wie du stattdessen bewusst handeln könntest.
Was Schweigen bedeutet
Lass uns das Schweigen anhand eines konkreten Beispieles genauer betrachten.
Jemand in deinem Umfeld erhält die Diagnose Brustkrebs. Und deine Reaktion darauf ist: Schweigen. Vielleicht ist maximal noch ein „Es tut mir leid“ oder „Du schaffst das“ drin, doch ansonsten stellst du den Kontakt ein.
Tatsächlich ist das die häufigste Form des Schweigens, die Betroffene erfahren. Sie berichten über Kontaktabbrüche oder klassisches Ghosting.
Als gesunder Mensch war die erkrankte Person noch relevant im Leben der Angehörigen, als Patientin, mit einem schweren Schicksal, verliert sich das Interesse.
Der Interessensverlust entsteht auf zwei Ebenen.
- Aufgrund der Erkrankung können gemeinsame Aktivitäten, Erwartungen, Aufgaben oder Gesprächsthemen für eine gewisse Zeit nicht mehr aufrechterhalten werden. Patientinnen verlieren ihren Nutzen für die angehörige Person. Daraus entsteht dann das mangelnde weitere Interesse, um in den Kontakt zu investieren.
- Ein dauerhafter Trigger, den Patientinnen für Angehörige darstellen. Hier nehme ich nochmal Bezug auf den vorherigen Absatz, dem nicht Aushalten können der eigenen Gefühle von Hilflosigkeit oder der Angst vor dem eigenen Tod. Krebspatient:innen sind ein heftiger Spiegel für genau diese unterdrückten Emotionen. Wer sich von Betroffenen nicht „die gute Laune“ vermiesen lassen oder triggern lassen möchte, geht auf Abstand, verliert das Interesse und schweigt letztlich.
Wie Betroffene Schweigen interpretieren
Es ist egal, aus welchen Gründen sich Angehörige aktiv oder meist eher passiv entscheiden zu schweigen, sich nicht zu melden und nicht nachzufragen.
Das Gefühl, welches bei Brustkrebspatientinnen ausgelöst wird, wenn das Schweigen geriert, ist fast immer gleich:
Ablehnung
In solch einer lebensverändernden Situation, kommt es nicht selten vor, dass Betroffene womöglich sogar von ihren nächsten Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten abgelehnt werden.
Gerade für Frauen ist diese Tatsache gleich doppelt schwierig, da eine Krebserkrankung oftmals mit einer Chemotherapie behandelt wird, die gravierende körperliche Veränderungen als Nebenwirkung zur Folge hat.
So stellen während der Behandlung der Haarverlust oder Gerichtsunregelmäßigkeiten, neben der physischen Erschöpfung und Einschränkung eine riesige Quelle für Identitätskrisen dar.
Nicht selten lehnen sich Frauen während der Krebsbehandlung selbst komplett ab, da sie das Gefühl haben, ihrer Weiblichkeit beraubt zu sein.
Sich zusätzlich vom eigenen Umfeld abgelehnt zu fühlen, macht die psychische Belastung einer solchen Tortur nicht besser.
Konsequenzen des Schweigens
Als Kommunikationstrainerin behaupte ich, Schweigen erzeugt exakt eine einzige Sache:
Distanz
Sich nicht melden vermag Angehörigen zwar als Selbstschutz sehr dienlich sein, verbessert allerdings niemals eine Bindung oder Freundschaft.
Die Entscheidung, dem Krebs aus dem Weg zu gehen, sich nicht zu melden und zu schweigen bedeutet demnach immer auch den Verlust eines Menschen. Und das völlig unabhängig, ob die betroffene Person dem Krampf gegen die Krankheit erliegt oder ihn gewinnt.
Mein Appell:
Solltest du dich gerade in der Situation befinden und eine von Krebs betroffene Person in deinem näheren Umfeld haben, dann versuche aktiv zu entscheiden, ob du den Kontakt halten und für die Patientin ansprechbar sein möchtest, oder nicht.
Dazu kannst du dir selbst einmal folgende Fragen beantworten:
- Empfinde ich Angst, Hilflosigkeit oder Ohnmacht, wenn ich mit der betroffenen Person in Kontakt stehe?
- Kann und will ich ggf. negative Gefühle für diese Person aushalten, weil sie mir wichtig ist?
- Ist mir mein heutiges „gut fühlen“ wichtiger als der Verlust einer Freundin, Bekannten, Kollegin etc.?
Mithilfe dieser Fragen kannst du womöglich schnell eine bewusste und aktive Entscheidung für dich als angehörige Person treffen.
Kleiner Tipp aus eigener Erfahrung:
Falls du dich entscheiden solltest den Kontakt (erst einmal) einzustellen geht hier nochmals meine Bitte raus: Schweige nicht.
Selbst wenn es nur eine kurze Whats App Nachricht ist, in der du sagst, dass du dich mit der Situation überfordert fühlst. Es hilft Betroffenen schon so viel weiter, deine Perspektive zu verstehen und nicht alles auf sich selbst zu beziehen.
Schweigen bringt nur mehr Unsicherheiten, mehr Überforderung und fühlt sich weder für dich noch die Patient:innen wirklich gut an.
Danke,
Sarah