Chemotherapie – Wenn der Körper nicht mehr kann

Chemotherapie - Wenn der Körper nicht mehr kann

Aktuell befinde ich mich in Woche 18 meiner Chemotherapie. Angesetzt sind 24 Wochen, mit insgesamt 16 Cocktails aka Gaben, um meinen Triple negative Brustkrebs zu besiegen.


Einmal musste ich bis jetzt aussetzen und eine Pause einlegen, weil mein Körper wirklich eine Auszeit brauchte. Und ich nehme es mal vorweg. Genau das ist letzte Woche wieder passiert.


Seit Anfang November bekomme ich jede Woche Pacli Nab und Carboplatin sowie jede dritte Woche Pembro, also die Immuntherapie.


„Keine Patientin bekommt hier in der Praxis mehr als Sie, Frau Herzog.“ 

So meine Onkologin am vergangenen Montag.
Ob mir das jetzt wirklich helfen soll und kann, weiß ich nicht. 

Aber es erklärt, wieso die anderen Patientinnen im Moment so scheinbar leicht ihre wöchentliche Chemotherapie wegstecken und ich hingegen an den Rand der Verzweiflung getrieben werde.


Ich bekomme wohl das Neuste vom Neusten, das Aktuellste, was die Medizin im Kampf gegen diesen Hochrisikotumor in meiner Brust aufzubringen vermag.


Irgendwie ist es beruhigend, irgendwie… leider auch nicht, denn ich bekomme da echt ne heftige Chemiekeule. 

An den wirklich dunklen Tagen frage ich mich dann tatsächlich: Was bleibt von mir noch übrig… nach der Therapie?

Alle Nebenwirkungen im Überlick

3 Mal hintereinander habe ich die wöchentliche Chemotherapie geschafft. 

Nach Woche 3 war Ende. Es ging einfach nichts mehr. Mein Körper hat einfach seine Funktionen suggestive abgeschaltet.

Der Durchfall kam zurück, gepaart mit heftigen Magenkrämpfen. Essen glich einer Partie Topfschlagen und am Ende gab es einfach nur noch Kartoffeln, Bananen und Äpfel.

Ach ja und Flohsamen! 🤢 Ich hasse Flohsamen! 🤮

Woher soll ein Körper dann noch seine Kraft nehmen, wenn alles nur noch eine einzige Tortur ist.

  • Essen – wie Topfschlagen, mal sehen, wie doll die Magenkrämpfe werden
 
  • Zur Toilette gehen – Wasserlassen brennt, wie Feuer und der Stuhlgang, ist mehr ein fließendes Gewässer als ein … tatsächlicher Gang
 
  • Atmung – Ja, Luft kommt rein, nur nicht an. 3 Schritte und ich brauche eine Pause
 
  • Schleimhäute – Augen: Staub, Mund: pappig, Nase: gleicht der Emyn Muil (für alle Herr der Ringe – Fans) – trocken, scharfkantig und blutig. Seit 3 Wochen habe ich nicht durch die Nase geatmet. Nicht weil ich krank bin, nein, nein. Meine Nase blutet, verkrustet und ist dadurch von innen so… ja, verkrustetet, dass keine Luft mehr durchkommt. 😬✌🏻
 
  • Geschmackssinn – An 2 von 7 Tagen noch vorhanden
 
  • Polyneuropathie – Zungenspitze, Fingerspitzen, Zehen, Ballen und zeitweise sogar mal der ganze, rechte Unterarm. Zum Glück verschwindet es meist nach ein paar Tagen wieder und taucht an einer anderen Stelle wieder auf.
 
  • Wassereinlagerungen – meinen Ehering kann ich zurzeit nicht tragen und nur noch meine Sommersneaker passen mir (im Winter echt nicht geil). Finger und Füße sind einfach zu dick. Ich habe auch Wassereinlagerungen im oben Rücken und Nacken, teilweise kann ich den Kopf nicht drehen oder spüre das Wasser im Nacken nicht mehr, wenn ich dusche.
 
  • Schlafen – ja, ich schlafe, wenn ich müde bin. Im Moment lebe ich frei nach dem Motto „Vom Essen werde ich müde und vom Schlafen werde ich hungrig.“ – Baby-Modus nennt meine beste Freundin das. Vermutlich ist es das auch. Zwischendurch noch ein bisschen Kacka und mehr ist nicht mehr drin.

Alles wird egal

Während einer Chemotherapie und damit zwangsläufig in einer akuten Krebstherapie überdenkt man viele Dinge.

(In diesem Artikel habe ich bereits darüber gesprochen, wie Werte auf einmal eine neue Bedeutung im Leben bekommen oder sich teilweise gänzlich verändern können.)

Aber es entsteht eben auch eine „Scheiß egal“-Haltung.

Was mir seit meiner Diagnose alles egal geworden ist, mag ich kaum aufzählen. Und die Anzahl steigt täglich.

 
Ich weiß noch, vor 4 Monaten gab es nichts Wichtigeres für mich, als selbstbestimmt meine Krankheit bzw. die aggressive Therapie, die meinen Körper entstellt vor der Öffentlichkeit visuell zu verschleiern. 

Also mir war wichtig, dass ich selbst mit Make-up und Perücke entscheiden konnte, ob man mir meine Krankheit ansieht oder nicht.

 
Jetzt ist mir das egal.

 
Bis vor ein paar Wochen fühlte ich mich noch getrieben, dachte ich muss irgendwie doch irgendwas Produktives tun mit der ganzen freien Zeit, die ich habe. 

Ja, ich weiß, das ist bekloppt (Meine einzige produktive Aufgabe ist es gesund zu werden).

 
Selbst wenn es meinem inneren Sein absolut zuwider ist, es ist mir egal geworden. 

Ich produziere nichts mehr, ich schaffe nichts mehr, ich leiste absolut keinen noch so witzig kleinen Teil für unserer Gesellschaft.

 
Ich weiß, ich weiß, du denkst vermutlich „Das musst du doch auch gar nicht Sarah“, doch die Priorität des Funktionierens, ist in meiner Familie das oberste Gebot und somit ein tief verankerter Glaubenssatz in meinem System, der wohl gerne nochmal eine Ehrenrunde beim Thema Verarbeitung drehen möchte. 🥳

Es ist einfach so vieles egal geworden, das Gewicht zum Beispiel. 

Essen ist gerade der einzige Genuss, den ich noch habe (Wenn die Geschmacksnerven denn funktionieren).

 
Alles andere funktioniert nicht mehr. Ich gehe kaum raus, verbringe die meiste Zeit alleine auf dem Sofa oder im Bett. Es gibt keine Highlights mehr. 

Selbst Weihnachten, Silvester und mein bald anstehender Geburtstag stehen für mich auf der Liste der Dinge, die dieses Mal wohl alle ohne mich stattfinden.

 
Seit Therapiebeginn im August sind ca. 3 Kilo dazu gekommen. Da lachen einige Krebspatienten drüber, ich weiß, denn alleine das ganze Kortison kann dazu führen, dass man bis zu 15 Kilo einfach nur an Wasser speichert.

 
Gefühlt habe ich auch mindestens 5 Kilo Flüssigkeit eingespeichert, da ich mich ständig so prall anfühle und mein Gesicht beim Waschen kaum noch in meine Hände passt. Also wer weiß, woher die 3 Kilo mehr kommen.

 
Jedenfalls denke ich mir, mein Körper ist eh so im Arsch, gefühlt muss ich nach der Chemotherapie erst wieder laufen lernen. Bewegung steht nach der Therapie auf meiner Prioliste auf Platz 1, dann ist es auch egal, ob ich 3 Kilo mehr oder weniger in Angriff nehme.

 
Abgesehen davon möchte ich mir gerade meinen einzigen Genuss im Leben nicht auch noch verbieten. Generell möchte ich mir selbst in meinem Leben nichts mehr verbieten oder mich zu irgendwas zwingen.

Also… Gewicht … egal.

Der mentale Break down rückt nach

Wenn der Körper aufgibt, dann folgt ihm die Seele. Oder sagen wir die Psyche. Das Wort Seele ist mir als nicht gläubige Person ein bisschen zu … unwissenschaftlich. 

Jedenfalls kann ich berichten, mental ging es mir die vergangenen 2 Wochen nicht gut. 

Einfach alles war zu anstrengend. Selbst der Gang zum Klo wurde zur Mammutaufgabe, nach deren Bewältigung ich erstmal schlafen musste. (Und ich musste wirklich häufig zur Toilette, da ich Durchfall hatte 💩).

Schreiben, hier auf meinem Blog, ging nicht mehr. Selbst bei Threads war ich nicht mehr online. Kein PlayStation spielen, kein Häkeln, nein, es war einfach alles zu anstrengend

Und dementsprechend ging es mir auch körperlich. Ich hatte das Gefühl, dass sämtliche meine Körperfunktionen sich nach und nach systematisch abschaltetet oder maximal noch im „Notstrom-Modus“ liefen. 

Und so kroch ich vergangenen Montag in die Praxis, völlig verheult, weil ich befürchtete am nächsten Tag die nächste Chemo bekommen zu müssen. 

Bitte verstehe mich nicht falsch. Ich weiß, die Chemo hilft mir, gesund zu werden. Doch im Moment fühlt sich die Chemotherapie eher an, als würde sie versuchen mich noch vor dem Triple negativ Krebs umbringen zu wollen. 

Im Wartezimmer erzählte mir eine andere Patientin noch, dass sie jetzt metastasiert sei und ab dem Zeitpunkt konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. 

Obwohl wir uns praktisch nur aus dem Wartezimmer kennen, machte mich diese Nachricht einfach so unfassbar traurig und zeigte mir wieder deutlich, was Krebs für eine gnadenlose und unberechenbare Erkrankung ist. 

Ich bin echt nicht die Frau, die ständig heult. Im Gegenteil, solange in Filmen nicht der Hund getötet wird 🐶, bin ich eigentlich nicht sehr rührselig, aber Montag glich mein Gemüt eben auch mehr einem fließenden Gewässer. 

I need a break - Part II

Als meine Ärztin mich sah, war aber klar, wir brauchen die Blutwerte gar nicht abwarten. Hier muss eine Pause her. Und ich war dankbar dafür. 

Innerlich gibt es eine Stimme in mir, die mich verflucht, weil natürlich jetzt alles nochmal länger dauert und ich nicht vorwärtskomme. Aber diese Stimme wird leiser. Ich bekomme sie in den Griff. 😵‍💫

Doch die Pause war notwendig. Körperlich und mental schrie ich ja förmlich danach. Ich hatte Gedanken im Kopf, die mich glauben ließen, ich würde sterben. Und dann kommt einfach schnell die Frage auf: Ist es am Ende nicht egal, ob mich der Krebs tötet oder die Chemo? 

Ich habe meine Onkologin gefragt, wieso ich jetzt so abkacke (Ja, ich habe das K-Wort wirklich gesagt). Ich bin kein Jammerlappen, war ich nie und ich würde mich niemals so bezeichnen. Ich bin keine Heulsuse, die einfach aufgibt. Aber Montag war ich kurz davor zu sagen: Ich kann nicht mehr, ich kapituliere. 

Frau Herzog, niemand in dieser Praxis bekommt zurzeit mehr als Sie. Sie dürfen jammern. Sie dürfen weinen. Sie müssen niemanden mehr etwas beweisen. Sie müsse keine Erwartungen erfüllen, sich nicht um irgendjemanden oder irgendwas kümmern. Und Sie dürfen alles bei uns abladen, egal womit sie kommen.“

 

Ich sagte ihr, die ganzen metastasierten Frauen auf dem Flur machen mir Angst. Und meine Ärztin antwortete:

„Deswegen geben wir jetzt alles, damit ihnen das nicht passiert.“ 

Die Chemo-Medikamente, die ich bekomme, sind das Neuste, was die Krebsforschung zu bieten hat, das Maximum, was die Medizin im Kampf gegen meine Tumorart aufbieten kann. Und ja, diese Behandlung ist heftig. 

Pausen sind notwendig, wenn es mir nicht gut geht.  Mehr als 2 -3 wöchentliche Chemotherapien schaffe ich vielleicht nicht. Aber das ist okay. 

Ich will einfach dieses Ding besiegen, denn eins ist klar: Nochmal will ich das auf gar keinen Fall machen!

Der Stand der Dinge

Was sagt denn nun der Ultraschall

Nach insgesamt 18 Woche Chemotherapie, 4 x EC, 5 X Pacli und Carbo und 6 Mal  Pembro. Ich kann Arsch Arsch seit 3 Wochen nicht mehr ertasten. 

Meine Onkologin schon (die macht ja auch den ganzen Tag nichts anderes ^^)

Auf dem Ultraschall zu sehen ist jedoch, wie vermutet. Arsch Arsch schrumpft weiter. Die Therapie schlägt an.

Von 6,5 cm beim Start vor 18 Wochen, ist das Scheißteil jetzt nur noch bei 1,6 cm. Also wieder ein Zentimeter weniger, als bei der letzten Untersuchung. Das ist gut. 

Die Chance ist weiterhin da, eine komplette Auflösung des Tumors. 

Drückt mir bitte die Daumen!

Sarah

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