Für Gesangsunterricht gibt es in der heutigen Zeit sehr viele Methoden. Einige diese Methoden haben sich im Laufe der Zeit weiter entwickelt, wissenschaftliche Erkenntnisse aufgegriffen, andere Methoden basieren auf persönlichen Erfahrungen und Erkenntnissen der Entwickler.
Stimmwissenschaftlich passiert sehr viel in der Branche des Vocalcoachings. Auf pädagogischer Ebene arbeiten leider viele Gesangslehrer noch mit einer veralten Art und Weise ihr Wissen zu vermitteln.
In diesem Artikel erkläre ich dir, wieso der gute, alte Call & Response Unterricht meiner Meinung nach in einem modernen und gesunden Gesangsunterricht nichts mehr verloren hat und welche alternativen Unterrichtsmethoden du stattdessen in deine Vocalcoaching-Session einbinden kannst.

Was ist Call & Response Unterricht?
Call & Response ist eine sehr verbreitete auditive Lehrmethode, die vor allem in der Kindheitspädagogik zum Einsatz kommt, solange die Kinder noch nicht gut lesen können. Call & Response bedeutet „Ich mache vor, du machst nach“. Das klappt mit Kindern sehr gut, denn sie lernen viel über das sogenannte „Lernen am Model“.
Übersetzt für den Gesangsunterricht bedeutet das konkret: „Ich singe vor, du singst nach“. Vielleicht kennst du dieses Vorgehen aus deinen eigenen, vergangen Vocalcoaching-Sessions. Der Gesangsschüler macht nach, was der Gesangslehrer ihm vorgesungen hat. Innerhalb des Warm Ups oder der Technikübungen singen Gesangslehrer und Gesangsschüler ähnlich viel, nämlich abwechselnd.


Call & Response hatte bis vor ca. 30 Jahren durchaus seine Daseinsberechtigung. Der komplexe Stimmapparat war noch nicht hinreichend erforscht gewesen. Gesangserfahrungen weitergeben und Lehren funktioniert über das Nachmachen. Solange es keine stimmwissenschaftlichen Erkenntnisse gab, über die konkrete Funktion der menschlichen Stimme, war Call & Response die einzig sinnige pädagogische Methode Gesang zu vermitteln.
1. Lehrmethode aus der Antike
Call & Response als Lehrmethode im Gesangsunterricht zu verwenden, stammt aus der Antike, als man noch überhaupt keine Vorstellung darüber hatte, wie der menschliche Stimmapparat aussieht und wie er funktioniert.
Natürlich hat eine alte Unterrichtsmethode, die sich über Jahre hinweg bewährt hat, auch heute noch ihre Daseinsberechtigung. Dennoch solltest du Call & Response in deinem Gesangsunterricht immer wohl dosiert einsetzen.
Was für dich als Sänger funktioniert, muss nämlich nicht zwangsläufig auch für deine Gesangsschüler funktionieren. Eine Lehrmethodik, für eine physiologische Tätigkeit (wie zum Beispiel das Singen) ohne jegliche Bezugnahme auf physiologische Abläufe (wie das Call & Response der antiken Gesangstechnik) kann schnell zu Problem, Schmerzen und Schäden führen.
Als guter Gesangslehrer sollte es immer dein oberstes Ziel sein, genau so etwas zu vermeiden.







Ein kurzer Exkurs in den Sport:
Ein Lauftrainer, der die exakt seine Laufweise beibringt, die physiologisch für seine langen Beine funktioniert, kann bei exakter Kopie (Call & Response) schnell zu dauerhaften Verletzungen führen. Es ist als äußerst wichtig für dich als Vocal Coach bei der physiologischen Arbeit mit der Stimme, eben auch diese Physiologie mitzuberücksichtigen. Hier empfehle ich immer die funktionale Stimmpädagogik.
2. Was, ist mit nicht-auditiv Lernenden?
In der pädagogischen Psychologie sprechen wir von 4 Lerntypen:
- Visueller Lerntyp: Das Lernen für diesen Lerntypen funktioniert vor allem über visuelle Reize, wie zum Beispiel Skizzen, Symbole, Noten, Bewegungen etc.
- Auditiver Lerntyp: Dieser Lerntyp lernt am besten über auditive Lernreize, wie zum Beispiel Hörbücher, Podcasts, Vorsingen oder Vorspielen auf einem Instrument
- Haptischer Lerntyp: Ausprobieren und machen ist für diesen Lerntyp die beste Möglichkeit für Lernerfolge, dazu zählen: konkrete Anweisungen, Rollenspiele, praktischen Ausführungen
- Kommunikativer Lerntyp: Für diesen Lerntypen ist das Reden und Verstehen der wichtigste Bestandteil des Lernprozesses


Wie du dir jetzt sicherlich denken kannst, spricht Call & Response hauptsächlich den auditiven Lerntypen an. Für Gesangsschüler, die gut über akustische Reize lernen können, funktioniert diese pädagogische Lehrmethode auch heute noch wunderbar.
Doch was ist mit den anderen Lerntypen?
Für nicht-auditive Lerntypen ist Call & Response ein Graus. Dem visuellen und kommunikativen Lerntypen fehlt der logische Zusammenhang. Sie verstehen weder, was du ihnen als Lehrer vormachst, noch was sie nachmachen sollen. Der haptische Lerner kann vielleicht durch Try and Error, mit ein wenig Glück selbst herausfinden, was er eigentlich tut, wenn er seinen Gesangslehrer kopiert.
Das kann sogar so weit gehen, dass deine nicht-auditiv lernenden Gesangsschüler zwar deinen Anweisungen im Call & Response folgen, es aber zu kaum Erfolgen führt (sie wissen ja schließlich nicht, was sie tun). Frust macht sich breit, die Schüler verlieren den Spaß, weil du als ihre Gesangslehrer nicht auf ihre individuelle Art des Lernens eingehen kannst.





Gesangsanfänger können in der Regel nicht einschätzen, ob deine Lehrmethode gut ist oder nicht. Sie vertrauen dir ihre Stimme und ihren Erfolg im Gesangsunterricht an. Deine Aufgabe als Gesangslehrer ist es, Rücksicht zu nehmen und sie entsprechend ihrer individuellen Lerntypen zu unterrichten. Wie das geht, erfährst du unter anderem in meiner Gesangslehrer Ausbildung, der VocalCoach Akademie.
3. Individualität wird überbewertet


Hier ein Beispiel aus meiner eigenen Gesangsausbildung:
Ich war mega nervös. Ich hatte gerade meine 45-minütige Abschlussprüfung gesungen und hinter mich gebracht und wartete nun draußen, während sich meine Dozenten und Professoren berieten und über meine Abschlussnote entschieden.
Gefühlt stand ich eine Ewigkeit im Flur und wartete auf mein Ergebnis. Zum Glück standen meine Freunde bei mir, die als Zuschauer bei meiner Prüfung dabei waren. Doch was sie dann zu mir sagten, werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen:
„Sarah, mach dir doch keine Sorgen! Du hast so toll gesungen! Du klingst genau so, wie deine Gesangslehrerin.“
Wow – Das saß! Klar, meine Freunde wollten mir ein paar nette Worte sagen, aber was ich hörte war, dass ich genau so, wie meine Lehrerin klinge. Und das wollte ich auf gar keinen Fall. Als Sängerin wollte ich um meiner selbst willen als gut empfunden werden und nicht, weil ich offensichtlich eine bereits gute Sängerin imitierte.
Wie ist das passiert?
Nun, damals als frisch gebackene Sängerin konnte ich den Zusammenhang noch nicht begreifen. Heute als langjährige Gesangspädagogin, weiß ich jedoch, wieso ich damals genau diese aufmunternden Worte meiner Freunde zu hören bekamt.


Die Antwort ist: Call & Response Unterricht. Ich wurde damals an der Uni nach der Belcanto Methode unterrichtet, die ihren Ursprung in der Antike hat. Stimmphysiologie und Anatomie waren damals nicht erforscht und somit auch kein Bestandteil der Stimmlehre.
Die klassische Gesangstechnik Belcanto hat sich bis heute aus wissenschaftlicher Sicht nicht viel weiter entwickelt. Daher unterrichten viele Belcanto-Gesangslehrer auch heute noch mit der Call & Response Methode.
Als auditiver Lerntyp habe ich mir unterbewusst beim Nachsingen, den Sound, die Klangfarbe und den Gesangsstil meiner damaligen Gesangslehrerin angeeignet. Wie ich das gemacht hatte, wusste ich nicht, geschweige denn, wie ich es abstellen sollte.





Diese persönliche Erfahrung hat mich sehr geprägt, weswegen ich bis heute in meinen eigenen Vocalcoaching Sessions vermeide zu viel vorzusingen. Ich lasse meinen Schülern den Raum, ihre Stimme in jeder Übung selbst zu entdecken und nachzuvollziehen, was sie genau tun. Keiner meiner Schüler klingt gleich. Alle haben ihren individuellen Klang beibehalten und intensiviert.
Alternativen zu Call & Response
Es gibt viele Wege, um Call & Response aus deinem Gesangsunterricht zu verbannen und deinen Schülern die gesangliche Individualität zu bieten, die sie verdienen.
Hier zeige ich dir 3 alternative Lehroptionen zu Call & Response für deinen Gesangsunterricht:
- Entdeckendes Lernen mit Köpfchen: Lass deinen Schülern die Möglichkeit selbst zu entdecken, wie sie singen, was sich verändert, wenn du ihnen Tipps gibst und erkläre im Anschluss physiologisch, was genau passiert. Auf diese Weise können deine Schüler ihr neues Wissen zu Hause auch ohne deine Hilfe reproduzieren.
- Vorspielen, statt vorsingen: Nutze ein Instrument, um Übungen im Warm Up oder für die Stimmbildung vorzuspielen. So bist du deinen Schülern nicht immer als Sound-Beispiel im Ohr und sie können dich nicht kopieren.
- Erklären und Beschreiben, statt vorsingen: Beschreibe den Sound, den Stimmsitz, die Form, Bewegung etc. den deine Schüler in einer Übung/ Phrase etc. machen sollen. So gibst du ihnen die Möglichkeit auszuprobieren, wie sie ihre Stimme selbstständig führen und welchen Sound deine Schüler für sich selbst erzeugen wollen. So lässt du ihnen den Freiraum, sich als Sänger zu entdecken und finden.


Mein Fazit für dich
Call & Response ist eine veraltete Lehrmethode. Sie entstand in der Antike, in der es noch keine Erkenntnisse über die Physiologie oder Anatomie der Stimme gab. Bis heute wird diese Lehrmethode im klassischen Gesangsunterricht (Belcanto) genutzt, was dazu führt, dass sich im klassischen Gesang viele Stimmen ähneln und kaum klangliche Individualität vorherrscht.
Da Call & Response über das auditive Lernen funktioniert, verstehen die meisten Gesangsschüler nicht, wie sie welchen Klang erzeugen. Es passiert über eine Try & Error Methodik, die nicht für alle Schüler zum Erfolg führt. Besonders ausgeschlossen wird das individuelle Lernverhalten von nicht-auditiven Lerntypen.
Autonomie und physiologische Individualität beim Singen wird durch Call & Response nicht gefördert. Die meisten Gesangsschüler können nur so lange „gut“ singen, wie ihr Lehrer ihnen vorsingt. Reproduzierbar ist es für sie jedoch nicht, da sie überwiegend gar nicht verstanden haben, wie das Singen eigentlich für sie persönlich funktioniert.
Alles in allem bin ich persönlich kein Freund der Call & Response Methode, da sie meiner Meinung nach den Schüler, mit seiner Individualität nicht in den Mittelpunkt des Unterrichts setzt. Den Lehrer zu imitieren, ihm nachzusingen fördert weder die Autonomie noch das Sounddesign der Schüler. Außerdem denke ich, dass diese Lehrmethode sowohl pädagogisch als auch stimmwissenschaftlich längst überholt ist und in einem modernen Gesangsunterricht nichts mehr verloren haben sollte.
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